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Wendepunkte - Wie Krisen unser Leben bereichern

In der Mathematik werden 'Wendepunkte' als Punkte beschrieben, an denen der Graph seine Richtung von einer Links- in eine Rechtskurve oder umgekehrt verändert.

 

Beim Segeln wird er mit einem Punkt beschrieben, an dem das Boot durch ein bewusst eingeleitetes Manöver einen Kurs wechselt und eine andere, neue Richtung einschlägt.

 

Doch auch in der Medizin wird mitunter auf diese Bezeichnung zurückgegriffen, wenn Krankheitsverläufe eine andere Richtung einnehmen, sich verändern und auf die Heilung zuzulaufen.

 

Jeder Mensch erlebt im Laufe seines Lebens Wendepunkte. Phasen, Zeiten oder auch kurze und plötzlich eintretende Augenblicke, in denen er entscheiden muss, in welche Richtung er weiter gehen will.  Diese Wendepunkte kann er auf zwei Arten erleben: Bewusst eingeleitet, wie es beim Segeln der Fall ist, oder unbewusst und vom Leben initiiert, um (gezwungener Maßen) einen längst fälligen Richtungswechsel vorzunehmen, den er vielleicht schon viel zu lange vor sich hergeschoben hat.

 

Wendepunkte verändern deinen Blick.

Plötzlich wird Neues für dich sichtbar.

 

Obwohl auch mir bewusst eingeleitete Manöver sehr viel lieber sind, als jene, vom Leben herbeigeführte, musste ich einen jener initiierten Wendepunkt erleben.  Er war von Schmerz begleitet, von Angst, Enttäuschung und Wut und hatte sich, wenn ich aus der Vogelperspektive darauf schaue, schon lange im Vorfeld angekündigt.

 

Der Wendepunkt kam als Diagnose verkleidet und bescherte mir von einem Tag auf den anderen jenen Richtungswechsel, vor dem ich mich so lange gedrückt hatte. Über Monate hatte sich etwas in meinem Körper angekündigt, dass ich gekonnt ignorierte. Er rief nach einer Pause, nach Ruhe, Erholung und nach Innenschau. Doch ich machte wie gewohnt weiter. Das war ich so gewöhnt. 

 

Mit einem Schlag und der Besprechung des Befundes meiner MS wurde mir klar, dass mein Körper sich mit deutlichen Symptomen während der vorangegangenen Monate um eine Veränderung bemüht hatte, doch ich schlicht nicht in der Lage gewesen war, diese Veränderung herbeizuführen. Also entschied das Leben für mich und bremste mich aus. Es nahm das Wendemanöver selbst in die Hand.

 

Die emotionale Achterbahn, die diesen Wendepunkte begleitete, schaffte nach einigen Wochen dann endlich den Raum, den ich mir so lange schon hätte geben sollen: Zeit für mich und einen neuen Blick. Zeit mit der Chance auf Reflexion, um mich zu fragen, was ich wirklich vom Leben wollte.

 

Das Leben ist immer für dich!

Deshalb frage dich:

 Was willst du wirklich?

 

In den vergangenen Monaten diesen Jahres habe ich, rund um Corona, sehr viel an diese Zeit in 2012 zurück gedacht. Wir alle wurden vom Leben Anfang diesen Jahres zu einem Wendepunkt gezwungen, der uns ausbremst und uns jedoch gleichermaßen die Chance bietet, innezuhalten und die Richtung zu wechseln. Innezuhalten, um uns zu fragen, was wir wirklich vom Leben wollen und um zu entscheiden, wohin unsere ganz eigene Reise weitergehen soll.

 

Ich weiß, dass Menschen schmerzvoll Angehörige oder Freunde verloren haben, denen niemand helfen konnte. Mir ist sehr bewusst, dass unglaublich viele  unter den wirtschaftlichen Folgen leiden, die noch gar nicht in ihrer Gänze abzusehen sind, und mir ist sehr klar, dass es vermutlich kein zurück geben wird in eine Gesellschaft, wie wir sie vorher erlebt haben. Und dennoch will ich die Hoffnung nicht loslassen, dass auch dieser Wendepunkt, den das Leben uns als Virus geschickt hat, einen Blick freigeben kann, der uns zu Positivem hinführt.

 

2012 musste ich mich entscheiden:

Mache ich so weiter wie bisher und bewege mich dadurch möglicherweise auf direktem Wege in die klassischen Erscheinungsformen der MS, oder verändere ich etwas und eröffne mir damit die Möglichkeit, meine Krise als Chance zu nutzen. 

 

Ja, ich habe viel verändert. Und nein, es war nicht immer leicht.

Dennoch weiß ich heute, dass sich jeder der einzelnen Schritt in eine neue Richtung gelohnt hat. Die MS hat mir geholfen, sehr viel achtsamer, liebevoller und sanfter mit mir umzugehen, vielem einen neuen Wert beizumessen und meine körperlichen Symptome als freundliche und gutgemeinten Hinweise zu nehmen, wenn es wieder einmal an der Zeit ist, das Tempo rauszunehmen und mindestens einen Gang zurückzuschalten.

 

'Schau tief in die Natur,

und dann wirst du alles besser verstehen.'

(Albert Einstein)

 

Unsere Angst ist kein guter Berater. Klar ist das leichter gesagt als umgesetzt. Deshalb schöpfe ich Kraft aus der Hoffnung, dass wirklich alles Sinn macht. Und wenn wir in die Natur schauen, wird uns das täglich gezeigt. Sie zeigte uns auch schon viel zu lange, dass es Zeit für einen Kurswechsel ist und beginnt, sich auf ihre ganz eigene Weise selbst zu regulieren.

 

Der Naturschützer und Förster Peter Wohlleben hat nicht nur mit seinem Bestseller 'Das geheime Leben der Bäume' beeindruckendes Wirken in Wäldern populär gemacht. Er zeigt mit seinem 'UrwaldProjekt' einen ganz neuen Blick auf den Wald, und macht deutlich, dass weniger manchmal sehr viel mehr sein kann. 

 

Egal an welchem Wendepunkt du dich gerade befindest. Ob du ein hartes Manöver einleiten musst, oder eine leichte Wende genügt: Vertraue darauf, dass alles gut werden kann, wenn du erst einmal Tempo und Fahrt rausnimmst, zur Ruhe kommst und dann Schritt für Schritt weiter gehst. In eine neue Richtung, die neuen Optionen Raum gibt, um es besser werden zu lassen.

 

Von Herzen wünsche ich dir einen guten Start in die neue Woche und - sollte es angesagt sein - ein sanftes und erfolgreiches Wendemanöver.

 

Alles Liebe,

Yvonne

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